Ruhe und Stille

Die Ruhe vor dem Sturm. Oder anders ausgedrückt: der Sonntag vor dem Beginn der neuen Arbeitswoche am Montag. An diesem Punkt versuche ich, mein aktuelles Wochenthema „Ruhe & Stille“ in einen Text zu gießen. Ein Haufen Assoziationen sind mir dazu durch den Kopf gegangen. Sprichwörter, wie „In der Ruhe liegt die Kraft“ oder „Stille Wasser sind tief“.

Die Stille kann etwas sehr Kostbares und Ersehnte sein, in unserer lauten Welt. Im Gegensatz zu extrovertierten Personen brauchen introvertierte Menschen immer wieder Ruhephasen und Zeit für sich, um ihre Akkus aufzuladen.

Stille kann jedoch auch unangenehm, unheimlich und sogar bedrohlich sein. Etwa in Form von betretenem Schweigen im Wartezimmer oder von Totenstille, wenn sich nichts regt, wo eigentlich Äußerungen von Leben erwartet werden.

Wenn wir nichts hören und zudem nichts sehen oder sonstige Reize wahrnehmen, verlieren wir die Orientierung, den Sinn für Raum und Zeit. Nicht nur unsere Psyche, auch unser Körper wird dadurch verwirrt. Der Schlafrhythmus und die Verdauung kommen durcheinander. Das ist so extrem, dass es als eine Form der Folter gilt, einen Menschen gegen seinen Willen in einen solchen Zustand zu versetzen.

Andererseits gibt es zu Therapiezwecken so genannte „Floating Tanks“. Das sind Becken mit warmem, konzentriertem Salzwasser und einer Haube darüber. Die Haube schirmt gegen Licht und Geräusche ab. Durch das Salzwasser treibt man an der Oberfläche. Dabei haben die Personen, die dies nutzen, jedoch die volle Kontrolle, wann sie die Erfahrung beenden wollen. Das komplette Fehlen von Reizen kann zu einer tiefen Entspannung führen.

Im Alltag bleibt uns als letzter privater Zufluchtsort oft nur das „Stille Örtchen“, um mal einen Moment ganz für uns zu sein. Oder ein Spaziergang in der Mittagspause – idealerweise in der Natur. Das kann die Gedanken wieder frei machen, die Lungen mit frischer Luft füllen und der Körper in Schwung bringen.

Fast egal bei welchem Wetter, so eine kleine Auszeit tut mir persönlich immer gut. Mindestens so angenehm wäre sicher ein Mittagsschlaf, die Mittagsruhe. In Deutschland haben die Geschäfte am Sonntag geschlossen, die Leute sollen schließlich auch einmal eine Pause haben. Ursprünglich war der Sinn der Sonntagsruhe, den Gottesdienst zu besuchen. Am Ende eines Arbeitslebens wartet der Ruhestand, gerne auch als Unruhestand betrachtet, wenn diese Zeit von rüstigen Rentnern mit haufenweise Aktivität und Terminen gefüllt wird.

Wissenschaftlich betrachtet, sind Zeiten der Stille für unser Gehirn sehr wichtig. Ständiger Lärm macht uns krank. Um zu regenerieren brauchen wir immer wieder Pausen. Auch um uns zu konzentrieren ist Ruhe wichtig. Nicht umsonst sind Bibliotheken herrlich stille Räume. Unterwegs gibt es Ruhebereiche im Zug. An Unis, in größeren Unternehmen oder zum Beispiel an Flughäfen, findet sich oft ein Raum der Stille. So ein Raum lädt ein, sich eine Pause zu gönnen. Sei es zum Gebet, zur Meditation oder einfach nur zum Atmen. Das geht natürlich auch in einer Kirche, wo in der Regel sowieso andächtige Stille herrscht, genau wie im Museum: Orten der Betrachtung, der Kontemplation.

Die Stille bietet die Chance zur Reflexion, zum Nachdenken und auch um neue Ideen zu entwickeln. Das Hirn einfach mal im Leerlauf lassen, den Gedanken nachhängen, so sortiert sich das Erlebte. Ein erholsamer Schlaf ist daher genauso wichtig für unser Wohlbefinden.

Was in unserer Umwelt jedoch vorherrscht, sind Alltagsgeräusche, um nicht zu sagen: Alltagslärm. Die lauten Nachbarn, redende Kollegen, Autos, Flugzeuge, Musik oder Maschinen. Im Kaufhaus läuft Musik, weil Stille angeblich eine konsumhemmende Wirkung hat. Die Wirtschaft reagiert auf die allgegenwärtigen Geräusche mit weiteren Konsumangeboten, wie Meditationskursen, geführtem Waldbaden, Schweige-Wochenenden im Kloster, Noise-Cancelling Kopfhörern oder Geräten, die beruhigenden White Noise abspielen, also zum Beispiel Meeresrauschen oder Regengeprassel.

Wer es sich leisten kann, zieht raus aus der lärmenden Stadt, aufs Land. Oder macht Erholungsurlaub auf einer einsamen Insel, weit weg von all den Menschen. Wer es sich nicht leisten kann, wohnt weiter an der lauten Straße. Stille ist auch eine Frage des Geldes, ein Luxusgut.

Mit dem Wissen darum, wie wichtig Ruhephasen für unsere Gesundheit und unser Wohlbefinden sind, finde ich, sollte das Bedürfnis nach Stille ernster genommen werden. Wer im Ruheabteil quatscht: einfach mal die Klappe halten! Wer meint, ein extrem lautes Auto oder Motorrad fahren zu müssen: Du bist ein egoistischer Depp, verschrotte das blöde Ding.

So fromme Wünsche helfen leider eher selten. Bleibt allein, die Lärmbelästigung mit stoischer Ruhe zu ertragen und zu atmen. Atmen hilft immer.

Weiterführende Links:

„Stille: Ruhe bitte“, Spektrum 04.01.2021

„Zu viel Lärm: Wir brauchen mehr Stille“, FAZ 10.08.2017

„1 Frage, 3 Antworten: Was ist Stille“, Geo Nr. 01/15

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