Vor ein paar Wochen war auf dem Weg in den Garten und kam an dem Verschenke-Schrank an der Bushaltestelle „Gablenberg“ im Stuttgarter Osten vorbei. Dort gibt es allerlei Dinge, die man einfach mitnehmen kann. Wer mag, kann auch etwas hineinstellen.
Mir fiel ein altes, gebundenes Buch ins Auge. Den Autor kannte ich nicht, aber der Titel sprach mich an: „Das einfache Leben“ von Ernst Wiechert. Vielleicht eine passende Fügung, auf dieses Weise zu dem Roman gekommen zu sein.
Wiechert ist einer der Autoren, die während der Nazizeit in Deutschland blieben und in die innere Emigration gingen. 1938 war er zwei Monate im KZ Buchenwald inhaftiert.
Protagonist der Erzählung ist ein deutscher Kapitän, der die Schrecken des Ersten Weltkrieges erlebt hat. Er kann und will danach nicht so weiterleben wie bisher. In der Folge entschließt er sich zu einem radikalen Schritt: fortan ein einfaches Leben zu führen. Dieses Leben beinhaltet vor allem körperliche Arbeit und wenig Kontakt zu den Menschen und zur Welt, die sich ohne ihn weiterdreht. Die Natur und der Lauf der Jahreszeiten nehmen dafür einen umso größeren Raum ein.
Ein wenig hat mich die Geschichte an Henry David Thoreaus „Walden“ (1854) erinnert. Doch der Kapitän ist kein Einsiedler. Er pflegt weiterhin Freundschaften und ist durch seine freundliche Art und die Arbeit mit seiner Umgebung eng verbunden.
Die kleine Gesellschaft des Romans pflegt ihre Erinnerungen, sei es zu Begebenheiten oder zu den Ahnen. Es ist die Rede von „stillen Leuten“, die zu Besuch kommen. Was mich wiederum an Stanislaw Lems „Solaris“ (1961) und die nächtlichen Besucher hat denken lassen. Während mit den Toten auf Augenhöhe gesprochen und ihnen zugeprostet wird, scheint es mit der jungen Generation schwieriger. Sie wird von Wiechert als forsch und ungeduldig porträtiert. Mit der Kenntnis der Geschichte lässt sich das Grauen des Zweiten Weltkrieges erahnen, dem diese Jungen gegenüber stehen werden.
Wie sollen wir leben? Woran uns halten? An welche Moral? Die großen Fragen der Philosophie und der Religion stehen im Raum. Wozu das alles? Wie kann Gott etwas wie Krieg zulassen?
Es ist eine Lektüre aus einer anderen Zeit, fast wie ein Märchen, so ruhig und nachdenklich. Was für ein Kontrast zu unserer rasanten Welt! Die Kriege sind heute andere, aber noch immer vorhanden. Noch immer prägen sie den Lauf der Welt und das Schicksal vieler Menschen.