Gemeinschaft

Das Thema der Woche ist insofern ein persönliches, da Matthias und ich drei Jahre in einer Gemeinschaft mit anderen Leuten gelebt haben. Zuvor bestand unser Alltag aus Mietwohnung, Vollzeitjob und etwas Freizeit am Wochenende. Immer wieder hatten wir uns gefragt, ob das wirklich das ist, was wollen. Das Thema Leben in Gemeinschaft hatte uns schon seit dem Studium gereizt. Irgendwann war einfach die Zeit gekommen, es selbst auszuprobieren. Kommuna in Vita, so zu sagen. Es war eine unglaublich herausfordernde, erlebnisreiche, anstrengende, bereichernde und erkenntnisreiche Zeit.

Was wir gesucht und letztlich mit der KoWa in Waltershausen gefunden hatten, war ein Projekt aus Leuten, die gemeinsam an einem Ort leben und arbeiten wollten. Mit ähnlich ausgerichtetem linken Politikverständnis, Gemeinsamer Ökonomie, gemeinsamer Entscheidungsfindung im Konsens und sozialem Miteinander. Eine, dem Anspruch nach, klassische Kommune könnte man sagen.

Mit Gemeinschaft assoziiere ich daher vor allem: Leute, die etwas verbindet, die sich zusammentun um sich gegenseitig zu unterstützen und gemeinsame Projekte realisieren.

Als ich das Thema der Woche aus meiner Losbox gezogen habe, war außerdem direkt das Lied von Ton Steine Scherben in meinem Ohr: „Allein machen sie dich ein“ vom 1972er Doppelalbum „Keine Macht für niemand“. Der Text geht weiter mit „schmeißen sie dich raus, lachen sie dich aus und wenn du was dagegen machst, sperrn’se dich in den nächsten Knast“. Es geht eben genau darum: nicht alleine für etwas zu kämpfen, sondern sich Unterstützung zu holen. Nach dem Motto, gemeinsam sind wir stark.

Im Archiv des dffb Projekts der Stiftung Deutsche Kinemathek habe ich einen Film entdeckt (und bisher nur den Anfang gesehen) mit eben diesem Titel „Allein machen sie dich ein“ von 1971. Darin geht es um eine Hausbesetzung in Berlin und wie schwierig sich u.a. die Selbstorganisation gestaltete. Im Anhang dieses Blogeintrag findet sich ein Link dazu.

„Da wird doch nur geredet.“ Das ist eine Vorstellung von der Selbstorganisation mit Kleingruppen und Plenum. Es stimmt, eine für alle gut tragbare Entscheidung zu treffen, kann viel Zeit in Anspruch nehmen. Doch was bitte ist die Alternative? Schnelle, schlechte Entscheidungen zu treffen? Menschen überstimmen, die vielleicht nicht laut oder eloquent genug ihre Bedürfnisse äußern konnten?

Wenn eine Gemeinschaft gelingen soll, muss sie gut im Austausch miteinander sein. Dazu braucht sie taugliche Mittel, die zu den Leuten, zur Situation und zur Größe der Gruppe passen. Das ist eine Erfahrung aus der KoWa. Einen Werkzeugkasten an Methoden zur Krisen- und Konfliktbewältigung und zur alltäglichen Kommunikation.

Was mir dazu in den Sinn kommt, ist zum Beispiel: Gewaltfreie Kommunikation (Marshall B. Rosenberg), Gemeinschaftsbildung (M. Scott Peck) oder Restorative Circles (Dominic Barter).

Wir kommen in der Regel aus kleinen Familien, leben als Paar, haben vielleicht nicht mal Geschwister. Woher sollen wir denn gelernt haben, uns in größeren Gruppen zu organisieren? Und ich meine jetzt nicht, eine hierarchische Struktur, bei der ein Anführer oder eine Anführerin bestimmt wird, die sagt, wo es lang geht.

Was hilft, ist ein gemeinsames Ziel. Ein kleines Etappenziel wie die Apfelernte oder ein großes für das ganze Projekt. Ein Konfuzius zugeschriebenes Zitat besagt: „Wenn über das Grundsätzliche keine Einigkeit besteht, ist es sinnlos, miteinander Pläne zu machen.“

Spannend fand ich eine im Kommune-Zusammenhang aufgetauchte Frage, ob erst Vertrauen vorhanden sein muss, um gemeinsam etwas zu bewegen oder aus der gemeinsamen Erfahrung das Vertrauen entsteht. Wahrscheinlich ist es ein Prozess.

Bei der Gemeinschaftsbildung nach Scott Peck gibt es die Idee, dass eine Zusammenkunft von Menschen erstmal eine Gruppe ist und erst durch die Bereitschaft, sich den anderen gegenüber zu öffnen und auch dem Unangenehmen zu stellen, zu einer Gemeinschaft wird. Wobei immer die Möglichkeit besteht, wieder die Verbindung zueinander zu verlieren und wieder von der Gemeinschaft zur schlichten Gruppe zu werden.

Natürlich gibt es auch andere Gemeinschaften: Eigentümer- oder Erbengemeinschaften etwa, wo Einigkeit und harmonische Entscheidungen wünschenswert, jedoch nicht selbstverständlich sind. Spirituelle Gemeinschaften, seien sie christlich oder buddhistisch oder wie auch immer ausgerichtet. In der KoWa war es immer wichtig, sich als Kommune von den spirituellen Gemeinschaften abzugrenzen. Der Glaube war bei uns kein verbindendes Element. Auch hege ich eine gewisse Skepsis, ob es wirklich gut erkennbar ist, wann eine spirituelle Gemeinschaft sektenhafte Züge annimmt.

Als Fazit würde ich sagen: Gemeinschaft ist schön, macht aber viel Arbeit.

Wir können uns in einer Gemeinschaft wunderbar getragen und aufgehoben, bzw. zugehörig fühlen. Sie holt uns aus unserer Komfort-Zone und fordert von uns konstante Auseinandersetzung mit dem Gegenüber. Das Bad oder die Küche mit niemandem teilen zu müssen, ist aber auch ganz nett.

Die Tage haben wir eine Doku über die Fuchsmühle im hessischen Waldkappe gesehen und uns einerseits sehr an uns bekannte Gemeinschaften erinnert gefühlt. Andererseits war es aber auch schön zu sehen, mit welcher spielerischen Leichtigkeit und modernen Mitteln (z.B. Crowdfunding) junge Leute sowas angehen und so auch das Dorf um sie herum beleben und verändern:

 

Weiterführende Links:

Website der KoWa – Kommune Waltershausen

Film „Allein machen sie dich ein“ (1971), als Stream bei der Deutschen Kinemathek

Eurotopia Buchversand, z.B. für Scott Peck „Gemeinschaftsbildung“ oder „Eurotopia Verzeichnis von Ökodörfern und Gemeinschaften in Europa“.

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